von Myrna Shiboleth, Netiv HaAyit Collies, Israel

Dieser Bericht wurde im September 2007 in der Collie Revue veröffentlicht. Er liegt fast 20 Jahre zurück, damals schon erkannte Myrna die Problematik, die heute das alles beherrschende Thema der Rassehunde darstellt. Damals konnte man noch nicht auf Haplotypen testen, aber ihre Erfahrung und Sachkenntnis ist absolut tagesaktuell.

Myrna Shiboleth züchtet seit über 50 Jahren Collies und Kanaan Hunde und kennt die weltweiten Blutlinien als internationale Richterin und eigene Auslandserfahrungen in der Colliezucht.

In den letzten Jahren wurde mir immer deutlicher ein sehr beunruhigender Trend bei unseren Collies bewusst. Der Prozentsatz der nicht trächtig gewordenen Hündinnen steigt, mancherorts über 50%. Das ist eine erstaunliche Rate! Wenn man sich dann die Wurfstatistiken verschiedener Länder ansieht, scheint die durchschnittliche Wurfgröße nachzulassen. Würfe von ein bis drei Welpen sind nichts Ungewöhnliches, wohingegen 8-10 Welpen höchst selten vorkommen. Immer mehr Welpen scheinen klein und schwach bei der Geburt zu sein und bedürfen spezieller Aufzuchthilfen wie Sondenfütterung, um ihnen eine Überlebenschance einzuräumen. Als ich vor mehr als 35 Jahren mit der Colliezucht begann, gab es selten Würfe mit weniger als 6 oder 7 Welpen, und dass eine Hündin leer blieb kam höchst selten vor. Wir hatten oft Würfe mit 8 und mehr fetten, gesunden Welpen. Die Welpen waren bei der Geburt groß und kräftig, sie kämpften sich von Anfang an zu den Zitzen vor. Was ist passiert?

Zweifelsohne ist gute Fruchtbarkeit die wichtigste Voraussetzung für die Fortführung einer Rasse. Wenn die Fruchtbarkeit aus welchen Gründen auch immer nachlässt, dann sehen wir auf lange Sicht dem Aussterben der Rasse entgegen. 

Welche Gründe kann es für die nachlassende Fruchtbarkeit in den letzten Jahren geben?

Einer der Gründe, die landläufig für nachlassende Fruchtbarkeit angenommen werden ist intensive Inzucht. Je mehr wir den Genpool einschränken, desto mehr Probleme scheinen aufzutreten. Unsere Collies sind viel intensiver ingezüchtet als viele von uns ahnen. Wir glauben, weil nicht viele gemeinsame Namen in drei oder vier Generationen, die wir üblicherweise sehen, der Ahnentafel auftauchen, es handele sich um minimale oder keine Inzucht. Aber wenn wir ein paar Generationen weiter zurückgehen, sehen wir, wie eng verwandt die Vorfahren unserer Hunde wirklich sind. Der ursprüngliche Genpool unserer Collies ist recht klein mit relativ wenig Ausgangstieren.

Warum verursacht Inzucht ein Problem?

Wir Züchter wissen, um einen uniformen Typ durchzuzüchten, ist Inzucht notwendig. Schauen wir uns Labortiere an, von Mäusen bis Beagles, oder auch nur die Nutztiere für unsere Ernähung. Die meisten sind über viele Generationen stark ingezüchtet, um die größtmögliche genetische und phänotypische Einheitlichkeit zu zeigen. 

Aber wir müssen auch noch andere Faktoren in Betracht ziehen

Zunächst – jeder Hund – und Maus, Kuh oder Mensch – tragen unerwünschte Gene. Manchmal sind sie offensichtlich – wir sehen, ob unser Collie helle Augen oder weiße Flecken hat. Aber oft sind die Merkmale nicht sichtbar, da sie rezessiv oder verdeckt getragen werden. Die Eltern unseres Collies mit hellen Augen haben vielleicht gar keine hellen Augen, haben sie aber trotzdem vererbt; oder es handelt sich um gesundheitliche Faktoren, die wir nicht kennen, ehe sie nicht durch besondere Umstände zutage treten. Mein Hund kann MDR1 Träger sein, aber wenn er niemals eine medikamentöse Behandlung braucht, die eine Reaktion auslöst, ahnen wir nicht einmal, dass er betroffen ist. Heute kann man mit Gentests feststellen, ob ein Hund von dieser Mutation betroffen ist, aber man kann nicht auf alles testen. Wenn wir inzüchten, dann verdoppeln wir nicht nur die erwünschten Merkmale, die wir festigen wollen, sondern auch alle negativen Gene, die wir gar nicht kennen. Inzucht erhöht stark die Gefahr, unerwünschte Merkmale zu verdoppeln. 

Zusammenhängende Merkmale

Eine weitere Tatsache, die gerne von Züchtern übersehen wird, ist, dass Merkmale nicht individuell weitergegeben werden. Diese Verbindung zwischen verschiedenen Genen bedeutet, dass wir es mit „Koppelgeschäften“ zu tun haben. Wir selektieren also auf ein erwünschtes Merkmal, aber wir bekommen gleichzeitig einige, die wir gar nicht wollen, weil sie miteinander verbunden sind. 

Die Belyaev’schen Silberfüchse

Das beste Beispiel ist ein Experiment, das in Russland über 50 Jahre auf einer Silberfuchsfarm betrieben wurde. Silberfüchse werden für ihr kostbares Fell gezüchtet, aber sie sind scheue, furchtsame Geschöpfe, die in Panik geraten, wenn die Pfleger an ihre Käfige herantreten. Beim Herumrennen in den Käfigen beschädigten sie ihren wertvollen Pelz. Belyaev versuchte, die Füchse nur auf ein Merkmal hin zu  selektieren – ruhigeres Wesen, so dass sie ohne in Panik zu geraten betreut werden konnten. Nach einigen Generationen erreichte er in der Tat sein Ziel – Füchse, die ruhig, freundlich und leicht zu handhaben waren. Aber diese Füchse entwickelten weitere Merkmale, die normalerweise bei Silberfüchsen nicht vorkamen: Hängeohren, geschecktes Fell und aufgerollte Ruten. Offensichtlich bestand eine Verbindung zwischen diesen Charakteristika. Indem Belyaev auf dieses eine Merkmal hin selektierte, kamen neue hinzu.

Reinerbigkeit – nicht nur bei den erwünschten Merkmalen

Das passiert uns dauernd bei unserer Inzucht – wir züchten auf ein bestimmtes Merkmal und stellen fest, dass auch andere Dinge auftreten.

Je mehr wir inzüchten, desto mehr steigern wir die Homozygotie, die Reinerbigkeit – nur diese speziellen Merkmale sind im Genotyp vorhanden und werden weiter vererbt. Ein einfaches Beispiel für diese Reinerbigkeit ist das reinerbige Sable – solch ein Hund trägt nur die Gene für die sable Farbe und kann sie auch nur vererben. Und da Sable beim Collie dominant ist, sind alle Nachkommen immer sable, egal welche Farbe der Partner hat. (Merle ist keine Farbe!). Wenn wir also einen Hund haben, der reinerbig für das von uns gewünschte Merkmal ist, ist er auch reinerbig für andere, damit in Verbindung stehende Merkmale, die unerwünschte Dinge hervorbringen können.

Eine gesunde Population ist in hohem Maße mischerbig

Eine genetisch gesunde Population ist in hohem Maße mischerbig – das heißt, innerhalb dieser Population gibt es eine große Vielfalt an Allelen (unterschiedliche Formen eines bestimmten Gens) für verschiedene Merkmale. Aber wir stellen eine stetige Abnahme der Mischerbigkeit innerhalb unserer Rassen fest, weil intensiv auf einen bestimmten Typ gezüchtet wird. Das führt zu reinrassigen Hunden, die eine Rasse repräsentieren und gesunde, aber einen anderen Typ verkörpernde Hunde werden vollkommen aus der Zucht herausgehalten. Hunde mit geringen Fehlern im Hinblick auf die Genetik werden aus der Zucht ausgeschlossen, auch wenn sie ansonsten eine Menge zur Variation der Blutlinien beizutragen hätten. Rüden, die im Ausstellungsring sehr erfolgreich sind, werden zu oft eingesetzt und nehmen enormen Einfluss auf die genetische Situation der Rasse, tragen zu schrumpfendem Genpool und schrumpfender Mischerbigkeit bei. Der Verlust der Mischerbigkeit wird ignoriert

Fortpflanzungsfitness

Das Ergebnis, das wir in vielen Rassen sehen, ist Nachlassen der Fortpflanzungsfitness – mangelnde Fruchtbarkeit, Fehlen der mütterlichen Instinkte, Fehlen der natürlichen Instinkte beim Rüden, schwache und sterbende Welpen, und vieles mehr. Aber auch andere Dinge hängen damit zusammen. 

Langlebigkeit

Studien haben gezeigt, dass je höher der Grad der Inzucht, desto kürzer die Lebenszeit der einzelnen Tiere. 

Immunsystem

Eine weitere Folge sind die vielen Probleme mit dem Immunsystem – wir sehen immer mehr Autoimmunerkrankungen, Verdauungsprobleme sowie Futter- und Umweltallergien. Die Gene, die das Immunsystem kontrollieren, müssen mischerbig – heterozygot – sein, damit der Körper so gut wie möglich fremde Proteine erkennt, sie von den eigenen unterscheidet, damit Krankheiten und Parasiten bekämpft werden und nicht auf normale Umweltgefahren überreagiert.

Fruchtbarkeitsprobleme müssen angepackt werden

Wir müssen Fruchtbarkeitsprobleme, die wir in der Rasse sehen, ernsthaft in Betracht ziehen und Wege finden, sie zu lösen, ehe der Rasse irreparabler Schaden zugefügt wurde. Wir haben den Vorteil beim Collie, den nicht viele andere Rassen haben. Wir haben in einigen Ländern separate Populationen – die englischen und europäischen Hunde basieren auf bestimmten Linien, während die amerikanischen, südamerikanischen und australischen Hunde unterschiedliche Hintergründe haben und oftmals viele Generationen von den europäischen Linien getrennt waren. 

Der Kurzhaarcollie, der auch über einige Jahre in separaten Linien gezüchtet wurde, kann ebenfalls dazu beitragen, „ermüdete“ Blutlinien aufzufrischen. 

Manchmal lohnt es sich, eine Abweichung im Typ hinzunehmen, die vielleicht nicht jedermanns Geschmack ist, die aber Gesundheit und Fruchtbarkeit fördert. Wenn wir gesunde und fruchtbare Hunde haben, können wir uns ganz leicht auf die Verbesserung des Typs oder welchen Typ auch immer wir bevorzugen, konzentrieren. 

Wir müssen in die Zukunft der Rasse schauen, wir müssen aufgeschlossen sein und sehen, was wir tun können, um den Collie als gesunde und fruchtbare Rasse zu erhalten. 

Auszug aus der Originalfassung aus der Collie Revue vom September 2007, freie Übersetzung Eva-Maria Krämer.